Straßengeschichten – Unterhaltsames rund um das Thema Straße
Das Straßennetz auf einem Stadtplan oder im Monitor des Navigators erscheint fast immer logisch und ist eine unverzichtbare Orientierungshilfe. Die Straßennamen selbst sind dabei kaum mehr als notwendiges und manchmal lästig kompliziertes Beiwerk, um die einzelnen Straßen identifizieren bzw. mit dem Navi kommunizieren zu können. Das ist eigentlich ungerecht. Denn wenn man einmal genauer hinschaut, merkt man, wie interessant es sein kann, sich mit den Straßen einer Stadt zu beschäftigen.
Die Herkunft der Straßennamen
Das Straßensystem und die Straßennamen einer Stadt führen über kurz oder lang direkt in die Stadtgeschichte.
Gibt es doch Straßennamen, die schon vor mehreren Jahrhunderten vergeben wurden und dabei auf einen Zusammenhang hinweisen, den man eigentlich nur im damaligen Kontext verstehen kann. So etwa bei der Hamburger Straße „Brandsende“. Sie wurde im Jahr 1842 so benannt, nachdem sich der große Städtebrand von Hamburg bis zu diesem Straßenzug ausgedehnt hatte.
Noch älter ist der rätselhafte Hamburger Straßenname „Am Schulterblatt“. Die Straße markiert das Zentrum des kultigen Hamburger Schanzenviertels und hält durch ihren Namen die einstige Vergangenheit der Gegend aufrecht, ob es den Passanten bewusst ist oder nicht. Hier hatten sich im 17. Jahrhundert vor allem Walfänger und Hafenarbeiter niedergelassen. Wo Seemänner sind, sind Kneipen bekanntlich nicht weit, eine davon hatte als Aushängeschild das Schulterblatt eines Wals, hieß „Wirtshaus zum Schulterblatt“ und so bürgerte sich die Ortsbezeichnung „am Schulterblatt“ im Laufe der Jahre ein.
Schulterblatt aus der Luft ansehen
Eine große Anzahl von Straßennamen ist auf rein geografische Aspekte zurückzuführen. Bei alten Straßenbezeichnungen passiert es häufig, dass diese Straßennamen die letzten historischen Zeugen einer vergangenen städtebaulichen Struktur sind. So gab es in Hamburg zum Beispiel einst eine Stadtmauer mit mehreren Toren, die nach den Städten bezeichnet wurden, in deren Richtung sie standen. Die Stadtmauer und ihre Tore wurde 1820 abgerissen. Das Berliner Tor jedoch ist in Hamburg bis heute fest in den Straßennamen verankert.
Neben den geografischen Bestimmungen gibt es aber auch andere Entstehungsgeschichten. Zum Beispiel kann man zum Teil anhand der Straßennamen erkennen, ob bestimmte Wohngebiete in kurzer Zeit entstanden sind. Gerade während des Baubooms zur Gründerzeit schossen neue Straßenkomplexe wie Pilze aus dem Boden. Die Städteplaner entwickelten häufig eine poetische Ader bei der Namensvergebung, etwa, indem sämtliche Straßen nach Blumen, Bäumen oder sogar Märchenfiguren benannt wurden, was den Wohnvierteln dann auch einen eigenen Namen verlieh. Ein typisches Beispiel ist das Wiesbadener Dichterviertel, das seinen Namen nicht wegen der hohen Dichte an Dichtern unter den Bewohnern erhielt, sondern weil die Straßen durchweg nach berühmten Poeten benannt wurden. Die Geschlossenheit dieses außerordentlich schönen Gründerzeitviertels weist dabei auf seinen kurzen Entstehungszeitraum über wenige Jahre hin.
Berliner Tor aus der Luft ansehen
Straßen, die zu Medienhits wurden
Dass Straßen ihre eigenen Geschichten schreiben, zeigen auch die folgenden Beispiele von realen Straßen.
Hier haben die Künstler die Hintergründe und Gegebenheiten einer bestimmten Straße aufgenommen,
um ein erfolgreiches Kunstwerk zu schaffen.
Sonnenallee
Der Film Sonnenallee von Leander Haussmann holt auf exemplarische Weise die Zeit der Berliner Ost-West-Teilung zurück.
Sonnenallee aus der Luft ansehen
Rosenstraße
Der Film von Margarethe von Trotta erinnert an ein einzigartiges Geschehen, das sich in der Berliner Straße 1943 abgespielt hat. Ein Frauenprotest führte zur Massenamnestie der inhaftierten jüdischen Ehemänner.
Reeperbahn
Mit seinem
Erfolgssong Reeperbahn hat Udo Lindenberg eine melancholische Hymne für die berühmte Vergnügungsmeile von Hamburg geschrieben.
Geht man über Deutschlands Grenzen hinaus findet man noch viel mehr solcher musikalischer Hits, die einer Straße gewidmet sind. Sei es die „Abbey Road“, mit der die Beatles ihr erfolgreichstes Album betitelten, der Paris-Hit „Oh, Champs Elysees“, der dem bis dahin wenig berühmten Joe Dassin zu Weltruhm verhalf oder die New Orleans-Hymne „Basin Street Blues“ von Louis Armstrong.
Reeperbahn aus der Luft ansehen
Persönlichkeiten als Straßenname
Für viele ist es ein Maßstab des ganz großen Erfolgs. Wird ein Platz oder eine Straße nach einer Persönlichkeit benannt, hat man einen Gipfel des Ruhms erreicht. Der Nachteil ist nur, dass man diesen Ruhm selbst in der Regel nicht miterleben kann, denn laut Gesetz ist eine solche Ehrenbezeugung frühestens zwei Jahre nach dem Tod des Betreffenden möglich, also „nur“ als Nachruhm für das Lebenswerk möglich.
Die Initiative für solche Straßenbenennungen muss übrigens aus der Bevölkerung kommen, bei der jeweiligen Stadtverwaltung beantragt und von einem parlamentarischen Gremium bestätigt werden. Nicht selten wird so eine Straßennamenvergabe dann auch zum Politikum. Ein kurioses Beispiel dafür war der Rainer-Werner-Fassbinder-Platz in München. Initiatoren und Gegner lieferten sich einen erbitterten Streit darüber, ob der Name des sogenannten Skandalregisseurs einen zentralen Münchner Platz zieren darf. Am Ende lief es auf einen Kompromiss hinaus und der Rainer-Werner-Fassbinder-Platz befindet sich heute in einem toten Winkel zwischen Autobahn und S-Bahngleisen.
Die Straßennamen eines Stadtviertels sagen daher auch einiges über die Wertvorstellungen ihrer Bewohner aus. In vielen deutschen Städten wurden nach 1945 Straßen nach bekannten jüdischen Persönlichkeiten umbenannt. Viele davon liegen in Vierteln, die für ihre rege intellektuelle und kulturelle Szene bekannt sind.
Für die Fußballbegeisterung der Deutschen spricht zum Beispiel, dass es bereits zehn Sepp-Herberger-Straßen in Deutschland gibt. Sein boxender Zeitgenosse Max Schmeling kommt dagegen „nur“ auf fünf Straßennamen in ganz Deutschland.
Weitere spannende Geschichten über Straßen in deutschen Städten
Über den
Verwaltungsbeamten für Straßennamenvergabe
in Hamburg
Geschichte der Nürnberger Straßennamen
bzw. ihrer Namenspatrone
Buchtipp:
Geschichte einer Hamburger Straße
Kuriose Straßennamen
Hier haben wir für Sie ein paar kuriose bzw. einzigartige Straßennamen zusammengestellt.
Am Galgenberg (viermal in Deutschland)
Kuhtotsbleiche (Büsum, SH)
Unter Gottes Gnaden (Köln)
Sesamstraße (gibt es sieben Mal in Deutschland)
Am Elend (Wuppertal)
Zickzackweg (dreimal in Deutschland)
Vergessene Straße (Attendorn, NRW)
Wenn Sie noch einen kuriosen Straßennamen kennen, freuen wir uns über eine Nachricht von Ihnen.
Kuhtotsbleiche Büsum aus der Luft ansehen
Wie man am besten nach einer Straße fragt
Wer in einer fremden Stadt oder Region ist, hat oftmals keine andere Orientierungsmöglichkeit, als nach dem Weg zu fragen. Dabei kann es allerdings schnell zu Überraschungen kommen.
Beispielsweise, wenn Männer Frauen ansprechen. Da ist es den Männern höchst anzuraten, sich der Dame betont vorsichtig und höflich zu nähern. Es könnte sonst zu einem schmerzhaften Missverständnis kommen, wie ein Video auf Youtube zeigt.
Ein leichtes Risiko birgt auch eine Frage nach dem Muster: „Können Sie mir sagen, wie es zur Schillerstraße geht?“ Ist der Befragte ein Witzbold, wird er lächelnd „Ja, das kann ich“ sagen und einfach weiter gehen, denn die Frage ist damit beantwortet.
In der Regel wird die Frage allerdings richtig verstanden, wie folgendes Video zeigt. Allerdings tritt hier eine andere Schwierigkeit auf. In deutschen Innenstädten scheint die Wahrscheinlichkeit, einen Ortskundigen anzutreffen, gegen Null zu gehen. In solchen Fällen hilft wohl nur noch der altbewährte Trick:
Ein Taxi winken und sich hinbringen lassen.
In manchen Kulturen Lateinamerikas wäre eine solche Häufung sichtlich ahnungsloser Befragter
ein Unding. Denn dort ist Hilfsbereitschaft eine größere Tugend als Kompetenz, ganz nach dem Motto: Der gute Wille zählt. So muss man damit rechnen, dass einem jeder, den man fragt, eine Antwort geben wird, völlig unabhängig davon, ob er die richtige weiß.
Selbst in unserer Kultur ist ein solches Erlebnis nicht ganz auszuschließen.
Zumindest kennen wir doch alle Zeitgenossen, denen das Selbstwertgefühl über die tatsächliche Hilfeleistung geht, die also lieber einen falschen Weg beschreiben als zuzugeben, dass sie nicht wissen, wo es lang geht.
In jedem Fall gilt also: Eine zweite Meinung einholen, kann nie schaden.
Je weiter man von touristischen Zentren entfernt ist, um so größer ist allerdings die Wahrscheinlichkeit, wirklich Ortskundige anzutreffen. Dabei setzen manche Wegbeschreibungen allerdings viel Einfühlungsvermögen und ein gutes Gedächtnis voraus. Man sollte sich auch nicht scheuen, Notizen zu machen. Hier zwei Video-Beispiele, welche die Notwendigkeit von Gedächtnisstützen belegen.
Gerhard Polt beschreibt einen Weg
Eine Wegbeschreibung in den Bergen
Es gibt allerdings auch Wegbeschreibungen, wo man einfach darauf verzichten sollte, sie geistig zu durchdringen, wie etwa die folgende:
Edmund Stoiber über den Weg vom Hauptbahnhof zum Flughafen in München
Zum Schluss noch ein Tipp zum Thema Sprachbarrieren: Um zu zeigen, wie jemand in die gesuchte Straße kommt, kann man auch eine Skizze anfertigen. Als Kommunikationsmittel scheinen Zettel und Stift jedenfalls zuverlässiger zu sein als Hände und Füße. Schauen Sie mal hier:
Otto beschreibt einen Weg
Einzigartig: Eine Straße, die es gibt und doch nicht gibt
Wer sich in Rom nach der Via Modesta Valenti erkundigt, könnte die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Das Außergewöhnliche an dieser Straße ist nämlich: Es gibt sie gar nicht, und dennoch hat sie rund eintausend Bewohner.
Die Geschichte der Via Modesta Valenti beginnt allerdings mit einem tragischen Schicksal. 2002 starb die siebzigjährige Obdachlose Modesta Valenti in Rom auf der Straße, nachdem ein medizinisches Rettungsteam den Krankentransport wegen des schmutzigen Zustandes der Patientin verweigert hatte. Der Vorfall löste eine heftige Diskussion aus und in deren Folge die Erfindung einer einzigartigen Einrichtung für Obdachlose. Bürger ohne festen Wohnsitz können sich seit 2002 in der Via Modesta Valenti registrieren lassen. Ihr Pass mit der gültigen Meldeadresse sichert ihnen so einen Anspruch auf Sozialleistungen.
Die Straße als Identitätsfaktor
Dass Straßen viel mehr sind als nur eine Aneinanderreihung von Häusern in einer bestimmten Gegend, beweisen auch noch viele andere Kunstwerke der Unterhaltungsbranche. Man denke nur an den Gassenhauer aus dem Musical „My fair Lady“, das Liebeslied „In der Straße, mein Schatz, wo du lebst“. Viele Musicalfans halten den Song zu Recht für einen der schönsten, der je in einem Musical gesungen wurde. Die Straße wird hier zum Inbegriff für ein ganzes Lebensgefühl.
Von der emotionalen Bedeutung der Straßen profitiert auch das Fernsehen, wie die Erfolgsserien „Lindenstraße“ und „Sesamstraße“ beweisen. Das Gefühl, mit dem Fernseher die eigene Nachbarschaft zu erleben, soll sicher auch mit der Comedy „Schillerstraße“ wieder geweckt werden.
Aber es muss ja nicht immer der Fernseher sein. Nehmen Sie sich bei Ihrer nächsten Städtereise doch einmal die Zeit, eine unbekannte Straße aufmerksam zu erkunden. Vielleicht stoßen Sie dabei auf überraschende Hintergründe und Anekdoten, die sie der Geschichte dieser Stadt ein Stückchen näher bringen.