Moderner Wohnungsbau – deutsche Tradition bis in die Zukunft
Deutschland ist für viele Dinge weltberühmt, aber wie viele Deutsche wissen eigentlich,
dass ihre Heimat auch Weltspitze im modernen Wohnungsbau ist? Und das schon seit fünfhundert
Jahren. Finden Sie hier eine Übersicht beispielhafter Wohnsiedlungen vom Mittelalter bis
zum Bauprojekt von morgen.
Fuggerei Augsburg
Die mittelalterliche
Wohnsiedlung in Augsburg
ist ein deutscher
Superlativ
der ganz besonderen Art: Sie ist die älteste Sozialsiedlung der Welt. Jakob der Reiche,
einer der ersten Vertreter der berühmten Fugger-Familie,
stiftete die Wohnanlage bereits im Jahre 1521, um unverschuldet in Not gekommenen Augsburgern
ein menschenwürdiges Leben zu sichern. Die Fuggerei befindet sich direkt neben dem Augsburger
Rathaus und erfüllt bis heute ihren ursprünglichen Zweck. Natürlich sind mit der Weiterentwicklung
des allgemeinen Lebensstandards auch die Fuggereiwohnungen mehrmals umgebaut worden.
Eine Wohnung umfasst heute sechzig Quadratmeter und enthält auch ein Dusch- oder Vollbad.
Aufnahme in eine der 140 Wohnungen erhält, wer katholisch ist, in Augsburg lebt und
nachweislich ohne eigene Schuld verarmt ist. Die symbolische Bezahlung besteht aus einem
Gulden (0,88 €) sowie täglich drei Gebeten für die Fugger-Familie.
Der berühmteste Bewohner der Fuggerei war übrigens der Großvater von Wolfgang Amadeus Mozart,
der mit dreißig Jahren in Not geraten war. Die Fuggerei hat eine eigene Kirche
und bis heute eigene Stadtmauern. Besucher können das Museum sowie eine Schauwohnung besichtigen.
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Die Sozialwohnungen des Textilfabrikanten Franz Brandts
Trotz der ersten Ansätze in Augsburg blieben Häuserbau und Häuserbesitz
auch in den folgenden Jahrhunderten reine Privatsache. Die einen bauten
Schlösser, die anderen ärmliche Katen. Und wer es zu gar nichts brachte,
kam ins Armenhaus der Kirche.
Mit den Anfängen der Industrialisierung und der zunehmenden Landflucht
brach dieses System dramatisch zusammen.
Zunächst setzte eine Überbewohnung der städtischen Häuser ein. Die
Neuankömmlinge in der Stadt bevölkerten Häuserteile, die bis dahin
kaum zu Wohnzwecken genutzt wurden, wie Dachboden, Keller oder gar
Treppenhaus, wofür die Hausbesitzer natürlich auch Miete verlangten.
Einziger Grund, diese Notlagen in Kauf zu nehmen, war die Aussicht in
einer der neuen Fabriken arbeiten zu können. Schon damals erkannten
die ersten Fabrikgründer Deutschlands, dass die Wohnsituation der
Arbeiter, die oft mehr als zehn Stunden schufteten, nun in ihrer
Verantwortung lag. In der Textilregion Mönchengladbach, der Heimat
des deutschen Frühkapitalismus, wurde soziales Unternehmerdenken
erstmals in die Tat umgesetzt. Der Textilfabrikant Franz Brandts
ließ 1885 erstmals auf eigene Kosten preiswerte Häuser errichten,
um seinen Arbeitern ein bezahlbares und menschenwürdiges Wohnungsangebot
zu schaffen. Brandts setzte sich auch für die Gründung eines Betriebsrates
in seinen Produktionsstätten ein, organisierte die erste Betriebskrankenkasse
Deutschlands und gründete den „Volksverein für das Katholische Deutschland“, der bis heute existiert.
Mietskasernen – das dunkle Kapitel des Wohnungsbaus
So viel Güte wie Franz Brandts aus Mönchengladbach leisteten sich die
nächsten Fabrikantengenerationen kaum. Was in den folgenden Jahrzehnten
als Wohnraum für Arbeiter entstand, ist eins der abschreckendsten
Beispiele menschenunwürdigen Wohnungsbaus. Fast in allen großen
Städten Deutschlands, besonders aber in Berlin, entstanden die sogenannten Mietskasernen. Vielgeschossige Häuser, die über mehrere enge Innenhöfe aneinandergebaut waren und nur die allernötigsten Hygienemaßnahmen zuließen. Durch das enge Bauen waren die meisten Wohnungen dunkel, eine grüne Umgebung fehlte in den dicht an dicht gebauten Straßen völlig. Mietskasernen wurden damit schon bald zur Heimstatt von Seuchen und Massenerkrankungen. Heute sind einige dieser Straßenzüge zwar noch erhalten, durch Vergrößerungen der Mieteinheiten, Einbau von Küche und Bad und zwischenliegende Grünflächen jedoch wesentlich besser bewohnbar.
Zur selben Zeit, in der die Mietskasernen erbaut wurden, entstanden
in den feineren Gegenden der Städte herrschaftliche Gründerzeithäuser.
Der Jugendstil erlebte seine Blütezeit und hinterließ malerische
Straßenzüge wie in München
Schwabing, wo städtisches Wohnen zum Traum für Romantiker werden kann.
Im Kontrast zwischen Mietskaserne und Jugendstilpalais entwickelte
sich in den Zwanziger Jahren eine Architektengruppe, die mit dem Motto
„Überwindung des Jugendstils!“ populär wurde.
Das Bauhaus – Neues Bauen für den Menschen
1919 gründete sich eine Gruppe von Architekten und Künstlern, die um ein modernes
Baukonzept rang. Die Bauhaus-Gruppe verfolgte neben vielen künstlerischen Ideen um die Einheit von Schönheit und Zweckmäßigkeit auch den sozialen Gedanken des Bauens. Im Mittelpunkt der Bauhaus-Bestrebungen standen Wohnanlagen, die ästhetisch und preiswert zugleich waren und im Einklang mit der Natur standen.
Nach dem Vorbild der ersten Wiener Siedlungen setzten sich die
Bauhaus-Architekten dabei auch erfolgreich für die öffentliche Förderung von Wohnraum ein.
Gleichzeitig verabschiedete die Weimarer Republik ein Wohnungsförderungsprogramm und machte damit menschenwürdiges Wohnen der Bevölkerung erstmals zur Staatsangelegenheit.
Um ihre Ziele zu erreichen, entwickelte das Bauhaus um seine Gründungsmitglieder Walter
Gropius und Mies van der Rohe, zahlreiche neue Bautechnologien, die das Häuserbauen
ökonomischer und zugleich künstlerisch variabler gestalteten. So arbeiteten
Bauhaus-Architekten arbeiteten u.a. erstmals in der Plattenbauweise.
Bauhaus Dessau aus der Luft ansehen
Das Bauhaus ist heute durch zwei wesentliche Institutionen etabliert, dem Bauhausmuseum
Weimar,
und der Hochschule für Gestaltung in
Dessau,
an der einst die großen Bauhausarchitekten lehrten. Beide Stätten gehören zum UNESCO Welterbe.
Die Bauhaus-Architekten waren in den Zwanziger Jahren ungemein produktiv und konzipierten in mehreren Städten Deutschlands ihre zukunftsweisenden Wohnsiedlungen, die bis heute bewohnt sind.
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Weißenhofsiedlung Stuttgart- Musterwohnungen des "Neuen Bauens"
Im Rahmen einer Ausstellung zum Thema „Die Wohnung“ entstanden 1927 auf dem
Stuttgarter Killesberg
innerhalb von 21 Wochen 21 Häuser mit insgesamt 63 Wohnungen.
17 führende Architekten aus Deutschland, Österreich, Holland und der Schweiz entwarfen hier unter der künstlerischen Leitung von Ludwig Mies van der Rohe ein mustergültiges Wohnprogramm für den modernen Menschen, das Individualität, Zweckmäßigkeit,
Einklang mit der natürlichen Umgebung und moderne Ästhetik in sich vereint. Die Weißenhofsiedlung ist bis heute bewohnt. Diese Ausstellung zeigt auch, dass die Bauhaus-Architekten sich deutlich vom Mehrgeschossbau abgewandt hatten und es meist bei zwei, höchstens drei Etagen im Haus beließen.
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Ernst May in Frankfurt
Nach dem Vorbild des Neuen Bauens entstanden in den Zwanziger Jahren in fast jeder deutschen Großstadt wie Hamburg, München oder Köln moderne Wohnsiedlungen. In besonders herausragendem Maße wurden die neuen Konzepte in Frankfurt am Main umgesetzt. Dank des engagierten jüdischen Bürgermeisters Ludwig Landmann konnte der Stadtplaner Ernst May sein großangelegtes Wohnungsbauprogramm „Neues Frankfurt“ verwirklichen. Eine seiner letzten großen Projekte war die Siedlung Westhausen in Frankfurt Praunheim. Auch in den Frankfurter Siedlungen überwiegen zwei- und dreigeschossige Wohnblöcke bzw. Reihenhäuser, die von großzügigen Grünanlagen umgeben sind.
Eine Spezialität des Frankfurter Wohnungsbaus war die sogenannte Frankfurter Küche. Nach dem Vorbild einer Werkbank sollte die moderne Hausfrau alle Kochutensilien und Zutaten auf einen Griff erreichen können. So wurde der Vorläufer der heutigen Einbauküche geschaffen.
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Plattenbauten der Siebziger Jahre
Kriegszerstörung, Wohnungsnot und Babyboom führten zu den Hochhaussiedlungen der Sechziger
und Siebziger. Selbst Walter Gropius, der einst führende Bauhausarchitekt, verließ in seiner Gropius-Stadt das Prinzip des Flachbaus und entwarf eine gigantische Hochhaussiedlung. Ob ehemals Ost oder West, die so entstandenen Trabantenstädte sind heute die Sorgenkinder der Stadt, ihre Billigwohnungen ziehen auf einseitige Weise die sozial schwachen Bevölkerungsschichten an und entwickeln sich so zum sozialen Brennpunktgebiet.
Hier ist modernes Quartiersmanagement gefragt. Denn ein Umdenken und v.a. Umbauen kann die einst hässlichen Trabantenstädte in lebens- und liebenswerte Viertel verwandeln. Etwa so wie in Berlin Marzahn, das praktisch im Nachhinein zu einer Gartenstadt gemacht wurde. In nächster Nähe zur Hochhaussiedlung wurde einer der schönsten Großgärten von Deutschland angelegt. Die Gärten der Welt sind nicht nur Naturparadies sondern auch Kulturzentrum.
Aus der einstigen Betonwüste Marzahn
ist damit ein touristischer Anziehungspunkt mit einer lebendigen Szene geworden.
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Berliner Siedlungen der Moderne
In der Hauptstadt Berlin, die in den Zwanziger Jahren auch die weitaus größte Industriestadt
Deutschlands war, entstanden die meisten aller modernen Wohnsiedlungen des „Neuen Bauens“.
Die rege Bautätigkeit wurde maßgeblich vom Wohnungsbauprogramm der Weimarer Republik gefördert, mit dem die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung zur Staatsaufgabe gemacht wurden. Herausragende Zeugen dieser leider nur sehr kurzen Wohnungsbaugeschichte sind die sechs Siedlungen der Moderne in Berlin. Sie wurden im Jahr 2008 in die Liste des UNESCO- Weltkulturerbe aufgenommen. Zu ihnen gehören.
Großsiedlung Siemensstadt
Die Firma Siemens hat sich mit ihrer „Arbeiterstadt“ in den 20er Jahren als vorbildlich verantwortungsvolle Unternehmergruppe engagiert. Sie schuf für ihre Beschäftigten die größte Berliner Wohnsiedlung nach dem Konzept eines neuen, menschenwürdigen Bauens.
Die viergeschossigen Wohnblöcke befinden sich weitab der Straße, umgeben von Grün und sind mit Küche und Bad ausgestattet.
Die Siemensstadt wurde von Walter Gropius, Hans Scharoun und anderen namhaften Architekten erbaut und ist bis heute eine beliebte Wohngegend.
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Siedlungen von Bruno Taut und anderen
Der Architekt Bruno Taut war in besonderem Maße an den Berliner Siedlungen der Moderne beteiligt und entwarf gemeinsam mit anderen Architekten vier der sechs Welterbesiedlungen.
- Gartenstadt Falkenberg, hier haben die Architekten sogar versucht, preisgünstiges Wohnen mit Jugendstilelementen zu verbinden, weshalb die Gartenstadt heute ein wenig exotisch wirkt
- Schillerpark-Siedlung Wedding, ein eher sachliches Wohngebiet
- Großsiedlung Britz, bekannt durch ihre hufeisenförmige Anlage
- Wohnstadt Carl Legien in Pankow, Entwurf gemeinsam mit Franz Hilliger
Weiße Stadt Reinickendorf
Die Siedlung trägt ihren Namen durch ihr durchweg schneeweißes Äußeres und war eine der
letzten Siedlungen des „Neuen Bauens“ in Deutschland. Entwickelt wurde sie von Stadtbaurat Martin Wagner, der auch bereits an der Konzipierung der Großsiedlung Britz beteiligt war. Das Herausragende der Weißen Stadt sollte eine in sich geschlossene Infrastruktur mit eigenem Kraftwerk, Versorgungseinrichtungen etc. werden. Die Fertigstellung fiel jedoch der Machtergreifung der Nazis zum Opfer. Die hielten das menschenwürdige Wohnen ihres Volkes für ziemlich unwichtig. In den Fünfziger Jahren wurde der Bau an der Weißen Stadt deshalb noch einmal fortgesetzt. Auch sie ist bis heute eine beliebte Wohngegend.
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Wohnungsbaugenossenschaften von heute
Viele der Wohnsiedlungen der Moderne, die in den Zwanziger Jahren erbaut wurden, gingen auf die Aktivität von Wohnungsbaugenossenschaften zurück. Der Grundgedanke einer solchen Genossenschaft ist einfach:
Eigentümer der Häuser sind die Mieter selbst. So gibt es niemanden, der an der Hausvermietung verdienen und Renditen erwirtschaften kann. Alles, was mit der Vermietung erwirtschaftet wird, fließt direkt in die Erhaltung und Verbesserung der Wohnsubstanz zurück. Das Wohlergehen der Mieter steht damit im Vordergrund.
Gerade die modernen Wohnungsbaugesellschaften engagieren sich für die Entwicklung neuer Wohnsiedlungen mit einer modernen, umweltbewussten Lebensqualität zu bezahlbaren Konditionen. Die Konzepte des Bauhauses erfahren dabei eine deutliche Renaissance.
In Deutschland gibt es um die 2000 Wohnungsbaugenossenschaften, allein in Berlin gibt es achtzig Baugenossenschaften. Die größte Genossenschaft dieser Art ist die Neue Lübecker.
Wohnkonzepte von morgen
Wie eine perfekte Wohnsiedlung der Zukunft aussehen könnte, sieht man an der ökologischen Wohnsiedlung Flintenbreite in Lübeck. Die Holzsiedlung mit eigenem Blockheizkraftwerk, Biogasanlage und integriertem Abwasserkonzept wurde als deutscher Beitrag bei der Expo 2000 in Hannover ausgestellt.
Die Baubehörde Bayerns hat eine eigene Abteilung, die Wohnkonzepte der Zukunft entwickelt. Und zwar die Initiative Experimenteller Wohnungsbau.
Ziel dieser Modellvorhaben ist es nach eigenen Worten, „richtungweisende und innovative Konzepte umzusetzen, die Zukunftsthemen vorausschauend aufgreifen. Dahinter steht auch die Absicht, die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehenden Mittel wirtschaftlich und effizient einzusetzen.“
Die Projekte konzentrieren sich auf verschiedene Schwerpunkte, darunter ökologisches Bauen, barrierefreies Bauen, Bauen mit Holz, aber auch das Projekt „Bezahlbares Eigenheim“, das immer mehr Einkommensschichten den privaten Wohnungsbesitz ermöglichen soll.
Zukunft schon heute
1999, in einer Zeit, als der öffentliche Wohnungsbau fast gänzlich stagnierte, hatte die Bauindustrie die Idee, die Weiterentwicklung von Wohnideen mit einem neuen Preis zu stimulieren. So wurde erstmals der Architekturpreis „
Zukunft Wohnen“ ausgelobt.
Seitdem werden alle zwei Jahre Wohnungsbauprojekte ausgezeichnet, die auf besondere Weise die modernen Ansprüche an den Wohnungsbau miteinander verbinden. Dabei geht es nach wie vor um Ästhetik, Naturnähe, Zweckmäßigkeit und Bezahlbarkeit,
immer mehr geraten nun auch die Aspekte Ökologie und moderne Energiekonzepte in die Aufmerksamkeit.
Besonders interessant für den sozialen Wohnungsbau ist der Sonderpreis „Betonfertigteile“. Wenn Sie im Archiv des Architekturpreises stöbern, werden Sie zahlreiche äußerst attraktive Zukunftsbauten in ganz Deutschland finden, in denen man bereits heute wohnen kann.